Nach 10 Studio- und 2 Live-Alben und insgesamt mehr als 100 Songs wäre zum 20jährigen
Bandjubiläum eher mit der Veröffentlichung eines Best-Of-Albums zu rechnen gewesen.
Stattdessen überraschen LACRIMOSA mit dem Doppel-Album ,,Schattenspiel“, auf dem sie 15
unveröffentlichte Aufnahmen der vergangenen 20 Jahre zum ersten Mal ihrem Publikum
zugänglich machen und diese mit 2 brandneuen Titel abrunden, die eigens für diese CD
komponiert wurden.
Doch bevor ich dieses “Schattenspiel” naher betrachte, worum geht es eigentlich bei diesem Album?
Zunächst ist das Erreichen eines 20jährigen Jubiläums sicher nicht alltäglich. Doch umso
außergewöhnlicher stellt sich dieses Jubiläum dar, führt man sich vor Augen, dass LACRIMOSA in all
den Jahren niemals einen Plattenvertrag bei einem großen Musikkonzern unterzeichneten und nicht
den kommerziellen Erfolg, sondern ihre künstlerische Freiheit als oberste Priorität verfolgten! Und
trotzt der fehlenden Unterstützung durch Massenmedien oder der mächtigen Musikbranche zählen
LACRIMOSA mit diversen Top 10 Positionen in den Charts verschiedener Länder zu den
erfolgreichsten, deutschsprachigen Künstlern überhaupt.
Und mehr noch: Kaum eine andere Band singt weltweit ihre Texte konsequent auf deutscher Sprache
und füllt dabei die Konzerthallen von Spanien bis Russland und von Asien bis Lateinamerika, wo
LACRIMOSA mittlerweile zu Topstars zählen, deren Songtexte an Schulen und Universitäten als
Lehrmittel für den Deutschunterricht verwendet werden.
Nebst dieser kulturellen Adelung nennen verschiedene Künstler aus Rock, Pop und der klassischen
Musik LACRIMOSA als Inspirationsquelle und so zählt das Duo des deutschen Tilo Wolff und der
finnischen Anne Nurmi als Mitbegründer des Symphonic-Rock und des Gothic-Metal und als eine der
wichtigsten alternativen Musikgruppen der weltweiten Musikbranche.
Zum 20jährigen Jubiläum präsentiert das neue Album “Schattenspie|“ also nun die ersten und bislang
ungehörten musikalischen Gehversuche aus dem Gründungsjahr 1990. Zudem öffnen LACRIMOSA
ihr Privatarchiv der ungehörten Aufnahmen aus den Folgejahren und beenden diese Reise mit den
aktuellsten Produktionen, die es derzeit von dieser Band zu hören gibt!
Und was hören wir? Zugegeben, ungewöhnliche Aufnahmen! Und so erklärt sich wohl auch der
Albumtitel “Schattenspiel”. Denn wer hätte gedacht, dass die -im weitesten Sinne – als Rockband
bekannte Gruppe mit rein elektronischen Werken wie ,,Schuld und Sühne“ und ,,Seelenübertritt” (beide
1990) begonnen hatten? Und kennt man die opulenten Arrangements ihrer Album der vergangenen
Jahre, überraschen die nahezu minimalistisch anmutenden ,,Morgen“ (2003) und “Déjà vu“ (2007),
wobei letzteres in seiner emotionalen Überschwänglichkeit mein spezielles Interesse geweckt hat.
Besonders überrascht dann auch die Urversion des “SchakaI“ (1994), jener Nummer, die in der im
gleichen Jahr veröffentlichten Version zu einer der ersten Gothic-Metal Nummern überhaupt zählt.
Davon ist hier noch wenig zu hören. Zwar sind die klassischen Elemente und die bombastische
Intention bereits zu erahnen, doch klingen die Gitarren vom Punk inspiriert, während das Schlagzeug
die elektronischen Wurzeln offen legt und in der Kombination eine gewöhnungsbedürftige und
dadurch nahezu charmante Note entwickelt. So kann man hier uneingeschränkt von einem
Schattenspiel sprechen, wie auch bei “Mantiquor‘ (2005), das klare Verwandtschaft zu Klassikern wie
,,|ch bin der brennende Komet” oder “Kelch der Liebe” aufweist, und doch eine
Komponente in sich birgt, die derart gefällig und damit für LACRIMOSA-Verhältnisse reichlich fremd
daher kommt, dass es eine Schock und eine Freude zugleich ist, Einblicke in derartige Kompositionen
bekommen zu können.
Besonders zu erwähnen sind sicher die neuen Titel “Sellador” und “Ohne Dich ist alles nichts“, die
unterschiedlicher nicht sein könnten. Während der Erstgenannte die elektronischen Wurzeln erneut
aufleben lässt und diese geschickt mit klassischen und rockigen Elementen vereint und dabei der viel
gelobten Poesie, die LACRIMOSA in den vergangenen 20 Jahren zu großen Teilen ausmachte, eine
klare Absage erteilt, besticht ,,Ohne Dich ist alles nichts“ mit allen Attributen, für die man diese unkonventionelle, oftmals streitbare und in sich doch immer konsequente Band kennt: große Gefühle in erstklassiger, musikalischer und handwerklicher Qualität!
Unterm Strich ist “Schattenspie|” ein aufschlussreiches, wie ergreifendes Sammelwerk, das bereits
durch den Mut besticht, kein Best-Of-Album, sondern ein intimer Einblick in eine faszinierende
musikalische Welt zu sein, die ihres Gleichen sucht!
– Friedrich Thomas Häusler –